Friedrich von Schiller:
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Ausserordentlich viele Verse aus dem Drama Wilhelm Tell sind zu zu stehenden Redewendungen geworden sind oder werden noch heute als Sprichwörter verwendet. Doch die Wirkung von Schillers Tell ist nicht auf die direkten Aufführungen beschränkt, viele andere Schriftsteller haben sich von diesem Schauspiel inspirieren lassen und eine eigene Version der Sage von Wilhelm Tell verfasst.
Die Uraufführung in Weimar, inszeniert von Goethe, und auch die weiteren Aufführungen in Deutschland wurden zu einem durchschlagenden Erfolg. In der Schweiz dagegen hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Dies lag wohl weniger an der dichterischen Leistung Schillers als vielmehr an der mageren Bilanz der Helvetik, dieser schweizerischen Revolution, die zwar weniger blutig verlief als die französische, aber letztlich die Versprechen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ebenso wenig einzulösen vermochte wie die französische Vorgängerin. (Schon 1803 wurde die zentralistische Helvetische Verfassung durch die Mediationsakte abgelöst und 1815 durch die Restauration weitgehend rückgängig gemacht.)
Während sich die Lage in der Schweiz durch die Mediationsakte beruhigte, führte Napoleon in ganz Europa Krieg und errang zunächst Sieg um Sieg. In dieser Lage wurde Schillers Wilhelm Tell zum Symbol des deutschen Widerstandes. In den von ihm besetzten Gebieten wurde das Drama verboten (so in Hamburg und Lübeck, aber auch in Holland), ebenso wie die Räuber, Maria Stuart und Goethes Faust. 1813 setzte Preußen zum Gegenschlag an - im Berliner Theater tobte das Publikum bei Stellen, die sich auf die Tagesereignisse bezogen. Auch an den anderen deutschen Theatern wurde der Wilhelm Tell mit Vorliebe aufgeführt, und zwar nun «mit besonderer Hervorhebung der früher verpönten und gestrichenen oder verwässerten Kraftstellen». (Wilhelm Widmann: Wilhelm Tells dramatische Laufbahn und politische Sendung, zitiert bei: Alfred Berchtold: Wilhelm Tell im 19. und 20. Jahrhundert, S. 174 f.)
Bei Schiller heisst es: "Dem Kaiser selbst versagen wir Gehorsam" (Stauffacher auf dem Rütli, in: Friedrich von Schiller, Wilhelm Tell, 2. Aufzug, 2. Szene). "Der Mahnruf wirkte prophetisch im Kampf des deutschen Volkes gegen Napoleon, so wie die Liebe zu Heimat und Vaterland und die Empörung gegen rechtlose Gewalt in diesem Volksstück Schillers immer einen starken Ansporn gefunden hat." (W. Grabert und A. Mulot, Geschichte der deutschen Literatur, München: Bayerischer Schulbuch-Verlag, 171974, S. 217.)
Wohl gab es schon vor Friedrich Schiller andere Versionen des Wilhelm Tell als Schauspiel, Ballade oder Oper, doch die Bekanntheit des deutschen Dichters hat zur weltweiten Ausbreitung der Sage sicher das ihre beigetragen. 1829 ertönte in Paris Rossinis letzte Oper Guillaume Tell und allein um 1830 (Juli-Revolution!) erschien in Frankreich mehr als ein halbes Dutzend Bearbeitungen von Schillers Wilhelm Tell. In England wurden zwischen 1829 und 1904 ein Dutzend englische Übersetzungen gezählt. (Berchtold, a.a.O., S. 183 f.)
1848 war wieder ein Revolutionsjahr in Europa. Die Schweiz gab sich - nach dem kurzen Sonderbundskrieg (Bürgerkrieg zwischen der katholisch konservativen Minderheit und der liberalen Mehrheit) die in den Grundzügen heute noch gültige Bundesverfassung. In Frankreich entstand aus der Februar-Revolution die Zweite Republik (1848-1852). Italien erlebte 1847-1849 revolutionäre Wirren (Garibaldi) und eine französische Intervention. Die Niederlande gaben sich 1848 eine parlamentarische Verfassung. In Österreich musste 1848 Metternich nach England fliehen , Ferdinand I. zugunsten seines Neffen Franz Joseph I. abdanken. In Deutschland wurden Vereins- und Pressefreiheit und die nationale Einigung gefordert. Zahlreiche Aufführungen von Schillers Wilhelm Tell wurden von Kundgebungen sowohl der konservativen ("Ein Oberhaupt muß sein") wie auch der radikalen Seite ("Eine Grenze hat Tyrannenmacht") begleitet. In Ungarn berief sich der Führer der liberalen Unabhängigkeitsbewegung, Ludwig Kossuth, fortlaufend auf Friedrich Schiller. Kossuth mußte ins Exil. Der Wilhelm Tell war in Ungarn bis 1872 Tabu ... (Berchtold, a.a.O., S. 197)
Aber auch russische Revolutionäre beriefen sich auf Wilhelm Tell. 1869 kam Netschajew als Flüchtling in die Schweiz und verfaßte mit Michail Bakunin einen Revolutionären Katechismus, in dem über den Revolutionär u.a. gesagt wurde: «Alle schwächenden Gefühle der Freundschaft, Verwandtschaft, Liebe, Dankbarkeit und sogar Ehre müssen in ihm durch eine kalte Leidenschaft für die revolutionäre Sache erstickt werden (...). Tag und Nacht darf er nur einen Gedanken, ein Ziel haben - gnadenlose Zerstörung.» Netschajew kehrte nach Russland zurück, ermordete dort einen Studenten und flüchtete erneut in die Schweiz. Die Regierung des Zaren verlangte seine Auslieferung. Bakunin setzte sich - erfolglos - gegen die Auslieferung ein und berief sich dabei auf Wilhelm Tell, den "Helden des politischen Mordes".(Berchtold, a.a.O., S. 204 f.)
1922 besetzten belgische und französische Truppen das Rheinland und das Ruhrgebiet, um Druck auf Deutschland auszuüben, das mit den im Friedensvertrag von Versailles auferlegten Reparationszahlungen im Rückstand war. "In Wiesbaden, Koblenz, Essen, Bochum wurden ... Tell-Aufführungen wegen der damit verbundenen Kundgebungen von der französischen Besatzungsmacht verboten. ... Das unbesetzte Deutschland faßte diese Verbote als Herausforderung auf; Tell wurde wieder zum begehrten Zugstück, zum aufrüttelnden patriotischen Tendenzdrama." (Alfred Berchtold, a.a.O., S. 228)
Zur Wirkung von Schillers Wilhelm Tell während des Zweiten Weltkriegs sei hier der durch seine Weltchronik bekannt gewordene Schweizer Historiker J. R. von Salis zitiert: "Wenn zur Zeit der äusseren Bedrohung der Schweiz durch Hitler die Menschen im Theater sich von ihren Sitzen erhoben und in tiefer Ergriffenheit den Rütlischwur mitsprachen, indentifizierten sie sich mit dem Geschehen auf der Bühne - mit der schweizerischen Befreiungssage in der Version Friedrich Schillers. Dabei ist es, was diese Wirkung betrifft, völlig gleichgültig, ob sie glaubten, die Dinge hätten sich damals [d.h. im Spätmittelalter] so zugetragen, wie im Drama. Wir waren ergriffen, aber wir glaubten nicht an die Historizität der Handlung auf der Bühne. Was ergriff, war ihr Sinn, die Kraft des Wortes. Zugegeben: Der Vorgang hat etwas Verwirrendes. Er ist es nicht, wenn man bejaht, dass der Symbolgehalt des Mythos eine der bewegenden Kräfte des individuellen und kollektiven Seelenlebens ist." (J. R. von Salis: Ursprung, Gestalt und Wirkung des schweizerischen Mythos von Tell, S. 15)
Seit dem Zweiten Weltkrieg war die Schweiz nicht mehr ernsthaft bedroht - es sei denn durch terroristische Vereinigungen. Dass ausgerechnet jene palästinensischen Extremisten, die in Zürich am 18. 12. 1969 aus dem Hinterhalt ein startendes Flugzeug der israelischen Fluggesellschaft El-Al beschossen, sich ausdrücklich auf Wilhelm Tell beriefen, ist von der gewählten Methode her nicht ganz unberechtigt, wie schon Max Frisch festhielt. (Max Frisch: Wilhelm Tell für die Schule. Frankfurt/M. 1971.) Dass diese Tat in der Schweiz - berechtigterweise - allgemeine Empörung auslöste, zeigt die ganze Widersprüchlichkeit unseres Nationalhelden in der heutigen Zeit auf.
Aus dem Vorangegangenen dürfte klar geworden sein, dass Wilhelm Tell - auch und gerade in der Fassung von Friedrich von Schiller - im 19. und 20. Jahrhundert überwiegend als (gewalttätig) handelnder Revolutionär wahrgenommen wurde. Schillers vorsichtig abwägende philosophische Überlegungen über Freiheit, Naturrecht und Grenzen von Tyrannei ebenso wie von Widerstandsrecht blieben weitest gehend auf der Strecke. Unter diesen Umständen scheint es angezeigt, sich mit Wilhelm Tell, wenn schon, sehr kritisch auseinander zu setzen.
Es ist kaum zu bestreiten, dass wir heute in Mitteleuropa sehr viel Freiheit geniessen und dass von Tyrannei in unseren Breitengraden nicht die Rede sein kann. Während die einen sich vielleicht noch ein bisschen mehr Freiheit und weniger Staat wünschen mögen, sähen es die anderen lieber, da und dort noch klarere und für alle verbindliche Spielregeln zu haben, damit die Schwächeren nicht durch die Rücksichtslosigkeit der Stärkeren in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Aber wie immer man sich in konkreten Fragen stellen mag - zwei Sachen dürften und müssten eindeutig klar sein:
Erster Aufzug: Szenen der Unterdrückung | ||
1. Szene | Trügerische Idylle: Es lächelt der See, er ladet zum Bade |
Konrad Baumgarten erschlug den Burgvogt Wolfenschießen, weil dieser seine Frau schänden wollte. Wilhelm Tell hilft ihm bei der Flucht. |
2. Szene | Stauffacher vor seinem Haus in Steinen (Schwyz) | Landvogt Gessler neidet Stauffacher sein Haus aus Stein. Die Stauffacherin rät ihrem Mann zur Flucht. |
3. Szene | Öffentlicher Platz bei Altdorf | Fronvogt überwacht den Bau der Burg "Zwing Uri", der Gesslerhut wird aufgestellt |
4. Szene | Walter Fürsts Wohnung | Arnold vom Melchtal, dem seine Ochsen ausgespannt wurden, Werner Stauffacher und Walter Fürst beschliessen ein heimliches Treffen auf dem Rütli. |
Zweiter Aufzug: Der Rütlischwur | ||
1. Szene | Edelhof des Freiherrn von Attinghausen | Attinghausen volksverbundener Landadliger, Rudenz ehrgeizig in Diensten der Habsburger |
2. Szene | Die Rütliwiese, von hohen Felsen und Wald umgeben | Stauffacher präsentiert die Ideologie der Alten Eidgenossen: Verteidigung der Freiheit, wohlerworbene ererbte Rechte. Schiller legt ihm dazu seine Auffassung des Widerstandsrechts in den Mund. Beschluss zum Burgenbruch, Rütlischwur. |
Dritter Aufzug: Der Apfelschuss | ||
1. Szene | Hof vor Tells Hause | Walter: "Früh übt sich, was ein Meister werden will" Tells Frau Hedwig ahnt Schlimmes, doch Wilhelm Tell lässt sich nicht zurückhalten. |
2. Szene | Wilde Waldgegend. Berta im Jagdkleid und Rudenz | Berta von Bruneck fordert Rudenz auf, sich gegen die Habsburger zu stellen. "Es ist ein Feind, vor dem wir alle zittern!" |
3. Szene | Wiese bei Altdorf. Gesslerhut auf der Stange | Wilhelm Tell geht achtlos am Hut vorbei, Wachen stellen ihn. Gessler verlangt den Apfelschuss. Tell trifft den Apfel, doch er hält einen zweiten Pfeil für den Landvogt bereit. Gessler lässt ihn abführen. |
Vierter Aufzug: Der Tyrannenmord | ||
1. Szene | Östliches Ufer des Vierwaldstättersees, heftiges Rauschen, Blitz und Donnerschläge | Das Schiff des Vogts gerät in Seenot. Man gibt Wilhelm Tell das Steuer. Er entkommt durch einen Sprung auf die Tellsplatte und stösst das Schiff in den Sturm zurück. |
2. Szene | Edelhof zu Attinghausen | Tells Frau beklagt das rohe Herz der Männer. Der sterbende Freiherr stellt fest, dass der Adel überflüssig geworden ist. |
3. Szene | Die hohle Gasse bei Küßnacht | Wilhelm Tell ringt mit seinem Gewissen. Landvogt Gessler weist eine Bittstellerin brutal ab. Tells Geschoss tötet ihn. |
Fünfter Aufzug: Freiheit! Freiheit! | ||
1. Szene | Öffentlicher Platz bei Altdorf; auf den Bergen brennen Signalfeuer | Die Burgen sind gebrochen, Vogt Landenberg ist verjagt. Der Gesslerhut soll fortan Zeichen der Freiheit sein. Kaiser von seinem Neffen ermordet. |
2. Szene | Tells Hausflur | Wilhelm Tell weist Johannes Parricida ab und unterscheidet scharf zwischen Tyrannenmord und Vatermord. |
3. Szene | Talgrund vor Tells Haus | Berta und Rudenz werden in den Bund der Eidgenossen aufgenommen. |
Letztes Update: 26.10.2003 | ||||
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Friedrich Schiller: Wilhelm Tell Zusammenfassung und Zitate |
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Wilhelm Tell Schweizer Nationalheld |
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